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 3. Eine Schinderhannessage
 
Johannes Bückler, Schinderhannes genannt, wurde am 31.Mai.1802 durch den „Brückenmüller von Niederselters“ gefangen genommen, als er sich auf dem Wege von Niederselters nach Wolfenhausen befand. Man übergab ihn dem kurtrierschen Amtmann Fuchs, der ihn nach Limburg ins Gewahrsam bringen ließ. Von einem der Streifzüge des Schinderhannes, über die mir in jungen Jahren eine über 90 Jahre alte Einwohnerin von Dehrn erzählte, sei hier die Rede.
 
Ihr Vater hatte ihr und allen Geschwistern oft von dieser seltsamen Begegnung mit dem Schinderhannes erzählt. Und das war so:
 
Der biedere Bauersmann hatte einen Ochsen nach Villmar verkauft; er sollte an einem bestimmten Tag, 6 Uhr, an einer genau bezeichneten Stelle in Runkel dem neuen Eigentümer übergeben werden. Beide waren übereingekommen sich in den Weg zu teilen. Für die Sommerzeit war dieser frühe Termin nichts Außergewöhnliches, denn in der Kühle des Morgens war auch das Tier für den Weg eher gefügig. Um sich ja nicht zu verschlafen, ging man am Vorabend etwas früher zu Bett.
 
Eine Uhr gab es in dem einfachen Bauernhaus in Dehrn nicht. Man richtete sich deshalb nach der jeweiligen Stundenansage des Nachtwächters und, soweit möglich, nach dem Stand des Mondes. Mach einem unruhigen Schlafe wachte unser Bauersmann plötzlich auf. Über die Helle in seinem Schlafgemach war er höchst überrascht. Er glaubte, sich verschlafen zu haben. Sofort weckte er seinen Sohn, der ihn auf dem Transport begleiten sollte.
 
Im Nu war man fertig. Durch die stillen Ortsstraßen zog man mit dem Ochsen gen Steeden. Die ganze Landschaft lag hell erleuchtet da, denn es war Vollmond. In Steeden lief ihnen der Nachtwächter über den Weg. Vielleicht dreißig Meter entfernt ließ er sein Horn ertönen, und rief die Stunde aus: Zwei Uhr!
 
Überrascht, dass sie sich durch die Helle der Nacht hatten täuschen lassen, berieten Vater und Sohn, was hier zu machen sei. Denn so wären sie um drei Uhr in Runkel gewesen, während das Zusammentreffen mit dem neuen Besitzer erst gegen sechs Uhr vereinbart war. In Runkel kannte man auch niemand, bei dem man für einige Stunden hätte unterkommen können. Doch schnell war ein Ausweg gefunden.
 
Hinter Steeden lag eine Mühle, die auch unserem Bauersmann die Frucht mahlte und Mehl lieferte. Der alte Müller wird einem Kunden für zwei bis drei Stunden gern Unterkunft gewähren. Zufrieden schwenkten sie mit ihrem nicht immer folgewilligen Ochsen von der Hauptstraße nach dem Wiesengrunde ab. Zu ihrer großen Freude bemerkten sie bald, dass der Müller sogar noch Licht hatte.
 
Am Eingang zum Hofe machten sie halt und banden den Ochsen, bei dem der Sohn als Wache blieb, an einen Baum. Um den Müller sein Anliegen vorzutragen, ging der Bauersmann dann auf das beleuchtete Fenster zu. Doch wie erschrak er, als er durch die Scheiben weder seinen alten Freund noch Angehörige seiner Familie erblickte. Etwa ein Dutzend Männer, zum Teil gar nicht oder nur schlecht zu erkennen, saßen um den großen Tisch, auf dem eine beachtliche Menge Geldstücke aufgehäuft lag. Man war beim Teilen. Anscheinend hatte man den Müller mit seiner Familie in irgendeinen Raum gesperrt, damit sie nicht Zeugen dieses Vorganges sein konnten. Der Anführer, der diese Geldstücke abwechselnd seinen Komplizen zuschob und dadurch die besondere Aufmerksamkeit des Bauern erweckte, war, welch ein Schreck, der Schinderhannes. Schnell streifte dann der Blick des Bauern noch die anderen Gestalten. Mein Gott, da sitzt ja auch der ......! Er hatte sich aus Geldgier dem Bandenführer angeschlossen. Schnell fort von hier, sonst ist es noch um uns geschehen!
 
Im Nu war man am Hofeingang, und hurtig ging es aus dem Wiesengrunde wieder auf die Landstraße und nach Runkel. In seinen Mauern fühlte man sich wenigstens sicher. Hier fand sich auch Zeit, dem überraschten Sohne zu erzählen, was man gesehen hatte. Bei hellem Tage und nach Ablieferung des Ochsen wurde der Heimweg angetreten. Daheim erzählte der Bauersmann, was er in dieser Nacht erlebte.
 
Jahre gingen hin. Inzwischen waren alle Töchter unseres Bauersmannes heiratsfähig geworden. Es kam daher auch viele Freier in das Haus. Wenn es dann um die Wahl des einen oder anderen ging, pflegte der Vater mit gewichtiger ernster Stimme oft im Familienkreise zu sagen:
 
„Von euch, ihr Märecher, derf nit aans do an doat Haus (das er dann näher bezeichnete) mol heirate, en wänn det Geld aus dem Kamin raus kimmt. Denn onrecht Geld kimmt doch net on de drätte Erwe! “
 
Den Besitzer dieses Hauses hatte nämlich der Bauersmann damals als Komplizen des Schinderhannes erkannt.